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Robert Rechenauer Architekten

Hans-Sachs-Straße 6  80469 München  Telefon 089 236856‑0
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Frischer Wind

Wir haben einen neuen Imperativ: die Nach­hal­tig­keit. Die Bau­ge­schich­te ist voll von Im­per­ati­ven, jede Epoche hatte den ihren. In Trak­ta­ten und Mani­fes­ten for­der­ten Archi­tek­ten in re­gel­­ßi­gen Ab­stän­den einen Para­dig­men­wech­sel und ver­schmäh­ten da­bei das gerade noch gel­ten­de. Die Ära des Wie­der­auf­baus un­ter­schied sich da­bei wenig von den vor­an­ge­gan­g­enen Zeit­abs­chnit­ten: dem Fa­schis­mus, der Mo­der­ne, dem His­to­ris­mus, der Re­nais­sance, dem Mit­telal­ter. Im Ab­gleich mit den Strö­mun­gen ihrer Zeit er­klär­ten die Archi­tek­ten in ihren Wer­ken die Welt. Sie schu­fen Er­zäh­lun­gen, er­fan­den Spra­chen und kre­ier­ten Stile. Mal galt das Pri­mat der aus­ge­wo­ge­nen Pro­por­tio­nen, in denen sich die gött­liche Ord­nung spie­gel­te. Mal zäh­lte das Zei­gen des ro­hen Ma­te­ri­als, das für Stärke und Wahr­haf­tig­keit stand. Den ge­bilde­ten Archi­tek­tur-Kon­su­men­ten macht dies zu­recht miss­trauisch.

Die un­mittel­bare Nach­kriegs­zeit ist von vie­len Im­per­ati­ven ge­tra­gen. Ein Im­pe­ra­tiv war die Ab­leh­nung von Sym­me­trien, ein an­de­rer die Ab­leh­nung von stei­len Gie­beln und ge­neig­ten Däch­ern. Sie stan­den für das über­kom­me­ne „Füh­rer­prin­zip“ und die Ideo­lo­gie von „Blut- und Boden“. Der wahr­schein­lich stär­kste Im­pera­tiv war je­doch das Ge­bot des Schwei­gens. Alex­an­der und Mar­gar­ete Mitsch­er­lich be­schrie­ben ihn als „Die Un­fäh­ig­keit zu trau­ern“. Der Wie­der­auf­bau folg­te dem Un­ter­gang. Ihn hatte schließ­lich die glei­che Ge­sell­schaft ver­schul­det, die nun da­bei war, sich selbst neu zu er­fin­den. Ein Ge­bot der Stun­de, man sprach von der „Stun­de Null“. Die dring­lich­ste Auf­gabe war die Über­win­dung der Ka­tas­tro­phe. Das ele­men­ta­re Be­dürf­nis nach einem Dach über dem Kopf stand an er­ster Stel­le. An zwei­ter, wie und in wel­cher Spra­che dies zu be­werk­stel­li­gen sei: die Frage nach den Res­sour­cen und der Archi­tek­tur. Ernst­haft in Frage kam dabei nur die Mo­der­ne, da sie die not­wen­di­gen Werk­zeuge bot. Eine mit Bau­stof­fen spar­sam um­geh­en­de, auf Stan­dar­di­sie­rung an­ge­leg­te Bau­weise ver­sprach einen schnel­len Bau­fort­schritt. Flach­dach und Asym­me­tri­en lie­fer­ten neue Narrative.

Dem Blick nach vorne folgte der nächste Im­pera­tiv: Kon­sum und gren­zen­lo­ses Wachs­tum. In­zwi­schen wis­sen alle: die Res­sour­cen an Land und Roh­stoff­en sind be­grenzt. Wachs­tum auf der einen, stellt Ver­­drän­gung auf der an­de­ren Seite dar. Natur und Land­schaf­ten ver­schwin­den, Ar­ten sind be­droht, Ab­fall stellt die größte Heraus­forde­rung dar. Der Um­fang des Wie­der­auf- und Da­rüber­hin­aus­ge­bau­ten ist im­mens, die Ge­stal­tung da­hin­ter nur schwer zu er­fas­sen: ein Ge­wirr an Aus­sa­gen und In­ter­pre­tationen.

Mit dem Ster­ben der Zeit­zeu­gen der Nach­kriegs­ära geht eine Än­de­rung der Er­in­ner­ungs­kul­tur ein­her. Das Schwei­gen, das zu Ver­ges­sen führ­te, zeigt u­ner­war­te­te Nach- und Ne­ben­wir­kun­gen. Trotz be­weg­ter For­men, schlan­ker Pro­fi­le und bun­ter Far­be, kommt die Archi­tek­tur des Wie­der­auf­baus nicht immer leicht da­her. Der Um­gang mit dem in­zwi­schen in die Jahre ge­kom­men­en Erbe der Nach­kriegs­archi­tek­tur scheint schwie­ri­ger als je zu­vor. Dem Er­halt des Be­ste­hen­den Pri­ori­tät bei­zu­mes­sen, wie dies der BDA in seinem Po­si­tions­pa­pier „Das Haus der Erde“ an­ge­sichts der Kli­ma­krise for­dert, bringt frischen Wind in die De­bat­te. In der zu­neh­mend emo­tio­nal ge­führ­ten Aus­ein­an­der­set­zung um die rich­tige Sicht auf die Ver­gan­gen­heit, ent­deckt eine neue Ge­nera­tion nicht nur das authen­ti­sche Zeit­zeug­nis, son­dern auch die graue Ener­gie, die in den Ge­­bäuden ge­spei­chert ist. Zu­dem tritt die Archi­tek­tur selbst als Lehr­mei­sterin her­vor, wenn sie zeigt, wie man mit aus­ge­feil­ten Kon­strukt­io­nen und aus­ge­wähl­tem Ma­te­ri­al­ein­satz res­sour­cen­scho­nend bau­en kann. Dünne Decken und schlan­ke Pro­fi­le waren nicht nur Aus­druck einer neu­en Ästhetik, die sich im be­wuss­ten Ge­gen­satz zum mas­si­ven Bau­en des Fasch­is­mus ver­stand, son­dern auch Aus­druck einer Um­gangs­weise mit knap­pen Ressourcen.

Architekturen er­zäh­len im­mer mehrere Ge­schich­ten. Der Gedan­ke der Nach­haltig­keit er­öffnet den Ge­­bäu­den des Wie­der­auf­baus seine Zukunft.

3 ⁄ 2021
Robert Rechenauer


siehe auch:

BDAtalk, Das Debattenmagazin des BDA Bayern
Ist das ein Haus oder kann das weg?

Bund Deutscher Architekten und Architektinnen BDA (Hg), Das Haus der Erde – Positionen für eine kli­ma­ge­rechte Archi­tek­tur in Stadt und Land, Berlin 2019
Durth Werner, Deutsche Architekten, Stuttgart-Zürich 2001
Jähner Harald, Wolfszeit - Deutschland und die Deutschen 1945 - 1955, Berlin 2019
Mitscherlich Alexander und Margarete, Die Unfähigkeit zu trauern – Grund­lagen kol­lekti­ven Ver­hal­tens, München 1967
Nerdinger Winfried in Zusammenarbeit mit Florschütz Inez (Hg), Architektur der Wunderkinder - Aufbruch und Verdrängung in Bayern 1945 - 1960 – Katalog zur Ausstellung in der Pinakothek der Moderne, Salzburg München 2005
Stock, Wolfgang Jean / Kinold, Klaus (Hg), Schöpferische Wiederherstellung – Creative Reconstruction. Hans Döllgast, Karljosef Schattner, Josef Wiedemann, München 2019
Wittkower Rudolf, Grundlagen der Architektur im Zeitalter des Humanismus, München 1990