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Robert Rechenauer Architekten

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Konzertsaal von vorne gedacht

Nehmen wir an, es gäbe ihn be­reits, den ul­ti­ma­ti­ven Kon­zert­saal für Mün­chen: er läge am rech­ten Ort, hätte die richtige Archi­­tek­tur und bräch­te groß­ar­tige Kon­zerte her­vor. Wir besä­ßen dieses Mei­ster­werk und es wäre von solch „außer­ge­wöhn­lichem uni­vers­el­lem Wert“, dass die Welt­ge­mein­schaft über­ein­kommt, dieses Stück Archi­tek­tur in die „Liste der Welt­erbe­stät­ten" auf­zunehmen.

Hinter der Liste der „UNESCO-Welt­­erbes“ steht ein völ­ker­über­grei­fen­der Ver­trag, in dem fest­ge­legt ist, dass es ein ge­mein­sa­­mes welt­wei­tes Ku­ltur­erbe gibt. Das Be­son­dere da­ran ist, dass da­rin nicht nur be­stimm­te Ku­ltur­stät­ten her­vor­ge­ho­ben und un­ter Schutz ge­stellt wer­den, son­dern die Aus­sage, dass dieses Erbe nicht das Ei­gen­tum einer Ein­zel­per­son, einer juris­ti­schen Ge­sell­schaft, einer Kom­mune oder Na­tion ist, son­dern, dass es al­len ge­hört. Die­ses ge­rade­zu un­glaub­li­che Be­kennt­nis zu einem ge­mein­sa­men welt­wei­ten Ku­ltur­vers­tänd­nis, das in dieser Form ein­ma­lig ist, sprengt alle ter­ri­toria­len und re­li­giö­sen Grenzen.

190 von 193 Staaten haben bis­lang diesen Ver­trag ra­tif­iz­iert. Keine andere Über­ein­kunft ge­nießt welt­weit solch großen Zu­spruch wie dieses Ge­setz, das – trotz der aktu­el­len Zer­stö­rung von Welt­erbe­stätte – Hoff­nun­­gen weckt.

Seit 2003 unter­stützen die „Ver­ein­ten Na­tionen“ neben dem Schutz der Stät­ten auch den Schutz und Er­halt des „im­materiel­len Kul­tur­erbes“. Ge­meint sind da­mit die Aus­drucks­for­men von Kre­ativi­tät und Er­fin­der­geist wie Tanz, Theater, Musik wie auch Bräu­che, Feste und Hand­werks­künste“. Sie werden von Generation zu Generation wei­ter­ge­ge­ben und fort­wäh­rend neu­ge­staltet und ver­mit­teln so Identi­tät und Kon­tinui­tät. So wurde un­längst am 30 03 2016 „der Orgel­bau und die Orgel­musik als Im­materiel­les Ku­ltur­erbe der Mensch­­heit“ bei der UNESCO in Paris no­min­iert. Am 29 04 2016 fand der „UNESCO-Welt­tag des Jazz“ statt.

Tat­sächl­ich war bei den Kul­tur­bau­ten das Im­materiel­le vom Materiel­len noch nie so rich­tig von­ein­an­der zu tren­nen, ruft doch das eine das andere hervor. Erst die Kunst­wissen­schaf­ten des 19. Jahr­hun­derts ha­ben die­sen Ver­such mit großen Nach- und Neben­wirkun­gen un­ter­nom­men. Da­bei tref­fen bei kei­ner Bau­auf­ga­be die bei­de Prin­zipien von „materiell“ und „im­materiell“ so stark auf­ein­ander wie beim Bau eines Kon­zert­saals; was das Thema so span­nend und ein­zig­artig macht. Seit­dem Musik in Ge­bäu­den be­trie­ben wird, nimmt sie Ein­fluss auf die Archi­tek­tur. Um­ge­kehrt nahm die Archi­tek­tur schon im­mer Ein­fluss auf die Musik. In einem Kon­zert­saal gibt eine enge Symbiose von Materiel­lem und Imm­ateriel­len. Jeder Raum eig­net sich nicht für jede Musik, jede Musik nicht für jeden Raum. Das „rechte Zu­sam­men­spiel“ von Musik und Archi­tek­tur be­deutet „gute Akus­­tik“. Die Akus­tik ist der Schlüs­sel zur ge­mein­samen Ge­stal­tungs- und Wir­kungs­kraft.

Eine der größten europäischen Er­rungen­schaf­ten ist die sin­fonische Musik; sie ist ein­zig­ar­tig und so ein­neh­mend, dass sie Ein­zug in den welt­wei­ten Musik­be­trieb ge­fun­den hat. Da­mit dies über­haupt mög­lich wurde, muss­ten ganze In­dus­trien, spe­zi­el­le Hoch­schu­len, große Orches­ter und – eben – Kon­zert­häu­ser er­rich­tet wur­den. In­strum­en­ten­bau­er, die über ein hoch­spe­ziel­les Wis­sen über aus­ge­wähl­te Höl­zer und aus­ge­feil­te Hand­werks­technik ver­füg­ten, waren nur ein klei­ner Teil einer un­er­mess­li­chen Wert­schöpf­ungs­ket­te, deren Glie­der sich mit dem Fak­tor einer im­men­sen Viel­falt an un­ter­schied­lich­en Instru­men­ten und Kom­po­si­tio­nen mu­lti­pl­izier­ten, hin­ter denen nicht nur die ku­lturel­le Viel­falt Eu­ro­pas, son­dern am Ende der ganze Glo­bus stand. Kom­po­nis­ten, Diri­gen­ten, Musiker, Or­ga­nisa­tor­en und Techni­ker füg­ten alle Glie­der zu einem wahr­haft orche­stra­len Gesamt­kunst­werk zu­sam­men: eine Tra­di­tion, die bis in unsere Tage nahe­zu un­ge­brochen Be­stand hat.      

Am Ende dieser gi­gan­ti­schen Kette steht in der Wahr­neh­mung vie­ler, der Abend für einige Wenige. In die­sen Wenigen wird zu­dem von den Vie­len in den Wenigen ein aus­ge­wähl­tes „eli­­res“ Pub­li­kum ge­sehen, für das jede För­de­rung ohne­hin ob­so­let scheint. Der im­mense Auf­wand der not­wen­dig ist, diesen Musik­be­trieb am Leben zu hal­ten, lohne sich nicht. Vor allem recht­fer­tige er nicht den ho­hen Auf­wand an pri­va­ten und öf­fent­lichen Gel­dern, die an­ders­wo drin­gen­der be­­tigt wer­den. Zu­dem gren­ze er andere Musik aus. Zu­recht wird die Frage ge­stellt, ob es an­ge­sichts der zur Neige ge­hen­den Res­sour­cen, der kli­ma­ti­schen Ver­ände­rungen, den zu­neh­men­den Um­welt­katas­tro­phen, dem B­evöl­kerungs­wachs­tum, den Krie­gen und Flücht­lings­strö­men, schließ­lich den feh­len­den Wohn­räu­men und Schu­len nicht dring­lich­ere Auf­ga­ben gibt als den Ruf nach einem neu­en Kon­zert­saal, in dem die „klas­sische“ sin­fo­ni­sche Musik kulminiert.

Der ge­meins­a­men Sache ist nicht ge­dient, wenn wir den öko­lo­gi­schen Kol­laps und so­zi­ale U­nge­rechtig­kei­ten gegen unser kul­turel­les Erbes aus­spie­len; eben­so wenig führt der zer­mür­ben­de Streit um die rech­te För­de­rung von so­genann­ter Sub- und Hochkul­tur wei­ter. Uns trägt eine ge­mein­same Kul­tur, die nicht der Ver­hand­lung, sondern der ge­gen­seiti­gen Wert­schät­zung be­darf. Sie spen­det Hei­mat und Iden­ti­tät. Im kriegs­zer­stör­ten Mün­chen war eine der ers­ten Ges­ten des Wie­der­auf­baus das be­rühm­te Kam­mer­kon­zert der Phil­harm­oni­ker in­mit­ten der Rui­nen des Grot­ten­hofs der Residenz.

Was wollen wir unseren Kindern über­geben?

Wir sollten diese Er­rungen­schaft - dieses Welt­erbe der sin­fo­ni­schen Musik - nicht auf­ge­ben und diese nahe­zu end­lose Kette der Wert­schöp­fung keiner kle­inen „ver­meint­lichen“ Elite übe­rlas­sen, son­dern dieses Erbe we­iter­ge­ben und aller­orts den Bau eines Kon­zert­saals als Ge­meinschafts­pro­jekt – sei es als Kom­mune, Staat oder „Ver­einte Na­tionen“ – selbst in die Hand nehmen.

Konzerthäuser stehen noch keine auf der of­fiziel­len UNESCO-Liste unseres Welt­erbes, zwei­fels­ohne sol­lten welche darauf stehen. Lasst uns daran arbeiten!

5 ⁄ 2016
Robert Rechenauer


siehe auch:

BDAtalk, Das Debattenmagazin des BDA Bayern 
Leuchtturmprojekt Konzertsaal – jetzt nicht kleckern, sondern klotzen?