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Robert Rechenauer Architekten

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Warum bei der Weihe von St. Johann von Capistran der Ambo fehlte
Sep Ruf und die „Liturgische Bewegung“

Im zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) sprach sich die Kat­hol­ische Kirche nicht nur für Religions­freiheit und den ver­stärkten Dialog mit Anders- oder Nicht­gläu­bi­gen aus, sondern beschloss auch eine neue Gottes­dienst­ordnung. Im Kirchen­bau hatte der Be­schluss weit reichende Kon­se­quen­zen zur Folge.

Von den Aus­wir­kungen war jedoch nicht nur der Neu­bau, son­dern auch der welt­weite Be­stand an ka­tho­lischen Gottes­häusern betroffen. Quer über den Globus wurden Altar­räume aus allen Epochen an die neuen An­for­derungen an­ge­passt. Ein­geleitet waren die gestal­ter­ischen Ein­griffe bereits durch einen Generationen über­grei­fen­den Pro­zess. Be­mer­kens­wert ist, dass Theo­logen und Archi­tek­ten an diesem Prozess gleicher­maßen be­teiligt waren. Der Priester Romano Guardini (1885-1968) und der Architekt Rudolf Schwarz (1897-1961) ge­hör­ten zu den Pro­ta­gon­isten dieser „Litur­gi­schen Be­wegung“.

Sep Ruf, St. Johann von Capistran 1960
Sep Ruf, St. Johann von Capistran 1960

Sep Ruf (1908-1982) hatte im Vor­feld des Zwei­ten Vatikanums den Kirchen­bau und Altar­raum von St. Johann von Capistran ent­worfen. So wie bei den Schwarz-Kirchen im Hintergrund Romano Guardini gewirkt hatte, war dies bei St. Johann von Capistran der Theologe Aloys Goergen.

Aloys Goergen (1911-2005) ent­stammte einer saar­län­dischen Archite­kten-Familie, hatte bei Romano Guardini studiert und lehrte ab 1965 mit Sep Ruf als Professor für Philosophie der Ästhetik an der Akademie der Bil­den­den Kün­ste in München. Zeit­weise be­klei­dete er auch das Amt des Präsidenten und führte den Vor­sitz des Werkbundes in Bayern. Aloys Goergen stand der Architektur also nahe. 1926 gehörte er bereits als Jugend­licher zum Kreis derer, die auf der Burg Rothen­fels unter Romano Guardini und Rudolf Schwarz in Ab­hän­gig­keit von unter­schied­lichen räum­lichen Bedingungen neue liturgische Formen 1:1 erprobten. Mit unter­schiedlichster An­ordnung der liturgischen Orte und Sitze entwickelten sie Ideal­pläne für einen Gottes­dienst, bei dem die Ge­meinde im Zent­rum der Feier stand. Der 1960 geweihte Bau von St. Johann von Capistran fällt in die End­phase der „Liturgischen Bewegung“.

Grundriss St. Johann von Capistran
Grundriss St. Johann von Capistran

Der Kreis als beherrschende Form des Grun­driss und die Circum­stanz von St. Johann von Capistran sug­geriert zwar auf den ersten Blick einen Zentral­raum. Der Kirchen­raum ist jedoch nicht punkt-, sondern streng achsen­symmetrisch an­gelegt. Die geo­metri­schen Ver­schiebung der beiden Mittel­punkte von Aussen- und In­nen­kreis deuten dies bereits an. In der offenen West­fassade und der im Osten gelegenen Tauf­kapelle kommt der achsiale Auf­bau voll­ends zur Gel­tung.

Die axiale Anordnung von Altar und Taber­nakel folgt noch ganz dem alten Schema der traditionellen Weg­kirche. Als Reminis­zenz an den „alten Hoch­altar“ steht der Taber­nakel noch leicht erhöht in einer Spur hinter dem „schon neuen Volks­altar“. Sep Ruf und Aloys Goergen stellten den Altar zentral im Raum auf und ordneten die Kirchen­bänke T-förmig um diesen an. Durch diese Hin­wendung zur Circum­stanz wird die Eucharistie­feier be­tont und als gemein­schaft­liches Ereignis für alle sicht- und erleb­bar. Der Wort­gottes­dienst hin­gegen spielte eine unter­geordnete Be­deu­tung. Zu­mindest hatten Sep Ruf und Aloys Goergen ihm im Entwurf offen­sichtlich keinen besonderen Stellen­wert zu­ge­mes­sen. Die „Ver­kündigung des Wortes" wurde erst im Zwei­ten Vatikanum der Mess­feier gleich­berechtigt zur Seite gestellt. Deshalb fehlte bei der Weihe der Kirche ein Ambo.

2 ⁄ 2012
Robert Rechenauer


Bildmaterial
Gerti Vogler, Architekturmuseum TU München
Robert Rechenauer Architekten

Literaturhinweise
Altmann Lothar, Katholische Pfarrkirche St. Johann von Capistran - Parkstadt Bogenhausen. In: Hildmann Andreas ∕ Jocher Norbert (Hg.), Die Münchner Kirchen – Architektur Kunst Liturgie, Verlag Schnell & Steiner Regensburg 2008
Debuyst Frédéric, Romano Guardini – Einführung in sein liturgisches Denken, Verlag Friedrich Pustet Regensburg 2009
Nerdinger Winfried mit Meissner Irene (Hg.), Sep Ruf 1908-1982 – Moderne mit Tradition, Prestel Verlag München Berlin London New York 2008
Pehnt Wolfgang ∕ Strohl Hilde, Rudolf Schwarz – Architekt einer anderen Moderne, Verlag Gerd Hatje Ostfildern-Ruit 1997
Schatz Klaus, Kirchengeschichte der Neuzeit II, Düsseldorf 1989, Auflage von 2008
Schwarz Rudolf, Vom Bau der Kirche, Verlag Lambert Schneider, Heidelberg 1947
Stock Wolfgang Jean (Hg.), Europäischer Kirchenbau 1950-2000, Prestel Verlag München Berlin London New York 2003