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Robert Rechenauer Architekten

Hans-Sachs-Straße 6  80469 München  Telefon 089 236856‑0
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Brückengebäude, Attikageschoß, Faschen aus Konglomeratgestein und der Löwe mit dem geflochtenem Brezelschweif
Varianzen des Denkmalschutzes am ehemaligen Primogeniturpalast in Salzburg

Gerne glaubt man, dass Paläste, allzumal barocke, frei gestanden sind. Der ehemalige Lodronsche Primogeniturpalast in Salzburg, errichtet 1634 von Dombaumeister Santino Solari, scheint dies auf den ersten Blick zu bestätigen. Doch der Anschein trügt.

Ursprünglich war der Palast Teil einer städtebaulichen Gesamtanlage, die heute nur mehr in Teilen erhalten ist. Nebentrakte schlossen an seiner Längsseite an und ein Brückenbauwerk verband den Palast mit der gegenüber liegenden Lodronschen Sekundogenitur. Über die Dreifaltigkeitsgasse hinweg konnte die Familie der Lodron so mit ihrem Hofstaat frei und ungesehen zwischen den Palästen zirkulieren. Das Bauwerk, das die beiden Gebäude miteinander verband, der sogenannte Mitterbachbogen, bildete einerseits den städtebaulichen Abschluss des Mirabellplatzes, andererseits definierte er baukünstlerisch den Eingang in die verdichtete Neustadt von Salzburg. Das vermeintlich barocke Bild von einem Palast, der frei in der Stadt stand, bekam das Gebäude erst, nachdem man 1894 jenen Bogen abgetragen hatte. 

Altes Borromäum um 1970
Altes Borromäum um 1970

Zu diesem Zeitpunkt fehlte dem Gebäude bereits seit über hundertfünzig Jahren der obere Abschluss. Die monumentale Attika, die einst das Gebäude als Palast auswies, war nach dem Stadtbrand von 1818 nicht wieder errichtet worden.

Erst unter der Regie des Architekten Eugen Wörle wurde 1978, beim Umbau des „Alten Borromäums“ von einem Wohn- und Geschäftshaus zur „Hochschule für Musik und darstellenden Kunst“, die Attika nach altem Vorbild als Vollgeschoss rekonstruiert. Die ursprüngliche Kubatur des Palastes war damit, zumindest der Höhe nach, wieder hergestellt. Ein Stück seiner alten Würde war dem Palast so zweifelsohne zurückgegeben. Dass bei der Baumaßnahme das Gebäude nahezu komplett entkernt wurde, stellte dabei offensichtlich keinen Widerspruch dar. Die verbliebenen Reste opferte man dem neuen Institutsbau. Die zusätzlichen Flächen wurden von der neuen Musikhochschule auch dringend benötigt.

Die Fassade, die heute dem Betrachter an der Dreifaltigkeitsgasse tatsächlich eine Anmutung von der einstigen Größe des ehemaligen Palastes wiedergibt, ist nicht das Original des Solari-Baus, sondern wurde zum größten Teil neu geschaffen. Auch das, was heute den meisten authentisch zu sein scheint, hat - wie das gesamte Gebäude - mehrfach große Transformationen erfahren.

Mozarteum 1978, Architekt Eugen Wörle <br />
Ansicht Altes Borromäum
Mozarteum 1978, Architekt Eugen Wörle
Ansicht Altes Borromäum

Neben der Rekonstruktion des Attikageschosses vermauerte man in den 1970er Jahren die nach dem zweiten Weltkrieg in den Sockel gebrochenen Schaufenster und gestaltete die gesamte Erdgeschosszone mit großformatigen Bossen neu. Dem Gebäude wurde ein trutziger und wehrhafter Charakter verliehen, der sicherlich dem Original eigen war und so dem gängigen Verständnis von einem barocken Palast entsprach. Kurioserweise verschloss man neben den Schaufenstern jedoch auch die historischen Portale, die einst in den Palast führten. Des Weiteren verlegte man aus „verkehrlichen Gründen" den vorhandenen Gehweg ins Gebäudeinnere, wo er als Aicherpassage fast dreißig Jahre lang ein fragwürdiges Eigenleben führte.

Dem Vermauern von Fensterflächen im Erdgeschoss stand wiederum die Einführung von neuen Fensterachsen in den Obergeschossen entgegen. Dies war notwendig um die Unterrichtsräume des neuen Institutsbaus, die sich hinter der Fassade entwickelten, ausreichend mit Tageslicht zu versorgen. Das Fassadenbild wurde also auch in dieser Zone massiv verändert.

Fassade Altes Borromäum, Detail  <br />
Ausschnitt vor der Sanierung
Fassade Altes Borromäum, Detail
Ausschnitt vor der Sanierung

Die ehemals geputzten Gurtgesimsbänder und Faschen fertigte man in den 1970er Jahren neu aus Konglomerat. Das Material selbst und der Ansatz der „Werktreue“ - also die gestalterische Herangehensweise, die natürliche Beschaffenheit und Bearbeitung des Materials zu zeigen - wies das Haus als Schöpfung der 1970er Jahre aus. Die Demonstration der Geologie stellte dabei eine Referenz zum Mönchsberg und somit zur großen topografischen Eigenheit der Stadt her. Ein formales Spiel der Beziehungen, das interessant ist, wenngleich diese Bezüge sicherlich von den allerwenigsten  wahrgenommen wurden. Gestalterisch stand der neue Bauschmuck jedoch vor allem  im Widerspruch zu den fein gearbeiteten Portalen aus Untersberger Marmor. Für den Bauherrn stellte das empfindliche Konglomerat eine sanierungsanfällige und somit kostenintensive Hypothek dar.

Heute schlummern die authentischen neubarocken Baudetails der 1970er Jahre unter Putz. Dieser wurde in Abstimmung mit der Sachverständigenkommission und dem Bundesdenkmalamt bei der Generalsanierung 2006 aufbracht. Der gestaltende Geist der 1970er Jahre ist also heute in einer dünnen Putzschicht konserviert. Spätere Generationen holen ihn möglicherweise wieder hervor.

Portal Dreifaltigkeitsgasse vor der Eröffnung 2006
Portal Dreifaltigkeitsgasse vor der Eröffnung 2006

Mit der Generalsanierung der Universität Mozarteum wurde nicht nur das physische, sondern auch das bildliche Erbe der ehemaligen Palastfassade ins 21. Jahrhundert geführt.

Es war kein Wunder, dass die vor der Sanierung vorsichtshalber durchgeführte Befundung keine originalen Spuren aus der Solari-Zeit zu Tage brachte. Die wenigen Stuckreste, die auf der Innenseite der Fassade - an der sogenannten Mozartstiege - noch vorhanden waren, wurden gesäubert und restauriert. Die Aussenseite, die durch den fehlenden Gehweg unnötig stark dem direkten Straßenschmutz ausgesetzt war, musste jedoch neu verputzt werden. Um den Sockelbereich zu betonen, erhielten die Faschen, Bänder und Bosse den gleichen sattgrauen Farbton wie die Wände der sich darüber erhebenden Piani Nobili. Um die Bedeutung der ehemals der Herrschaft vorbehaltenen Obergeschosse zu unterstreichen, hat dort der Bauschmuck eine helle Fassung erhalten. Die Fensterkonstruktionen wurden auf Wunsch des Mozarteums weiss gestrichen.

Dass die Fassade im Zuge der Generalsanierung am Ende seinen Gehweg wieder bekam, verbesserte die Bedingungen erheblich. Die ehemaligen Eingänge an der Dreifaltigkeitsgasse konnten wieder aktiviert werden. Die alten Palasttüren waren allerdings verloren und nicht zu ersetzen. Um der stark geschlossenen Fassade eine einladende Geste zu geben und das neue Innenleben nach aussen zu spielen, wurden die Einlässe gläsern gestaltet. Die historischen Portale, die in Untersberger Marmor ausgeführt sind, wurden vom Schmutz befreit und ihre Gewände im warmen Ton des Marmors geschlemmt.

Schließlich sind mit der Sanierung die über den Portalen immer noch vorhandenen Familienwappen der Lodrons in den Blick gefallen. Sie scheinen tatsächlich die letzten authentischen Zeugen des originalen Solari-Baus zu sein. Von den meisten unbeachtet, beobachtete von dort seit über vierhundert Jahren der Löwe mit dem geflochtenem Brezelschweif das Geschehen in der Dreifaltigkeitsgasse.

Familienwappen Erzbischof Lodron  <br />
Löwe mit Brezelschweif
Familienwappen Erzbischof Lodron
Löwe mit Brezelschweif

Wer würde sich nicht gerne seinen Erzählungen hingeben?

Wie in einer Zeitmaschine liefe ein langer Film vor dem geistigen Auge ab. Zuerst würde ein unbekannter Bildhauer erscheinen, neben ihm würde Santino Solari auftauchen, schließlich der Erzbischof Paris Lodron mit seinem Gefolge auftreten. Die Salzburger Gesellschaft würde in den unterschiedlichsten Garderoben vorbeipromenieren. Prominenz, wie Wolfgang Amadeus Mozart, würde ein- und ausgehen. Französische Soldaten den Palast besetzen und - Generationen später - amerikanische Jeeps die Straße auf- und abfahren. Karren, Kutschen und schließlich Autos mit den unterschiedlichsten Modellen zögen vorbei. Glocken wären im Hintergrund zu hören, dann das Prasseln der brennenden Andrä-Vorstadt zu vernehmen. Immer wieder würde das Gehämmer und Gerufe der Arbeiter zu einem dringen, die sich immerfort von Neuem an dem Gebäude zu schaffen machen.

Das Schicksal des Hauses führte die Architekten bei der Fassade zu immer neuen Interpretationen. Bei den vielen Transformationen, die über die Jahrhunderte über das Gebäude hinweggegangen sind, sind zweifelsohne Qualitäten entstanden, die sich in der Gesamtschau zu einer eigenen großen Aussage verdichten. So radikal die vielen Neubeginne auch waren, sie setzten nie auf einer kompletten Erneuerung des Vorangegangenen, sondern stets auf der Fortführung des Vertrauten auf. Nicht Zerstörung und Errichtung, sondern Wandlung ist das Zauberwort dieses Entwurfprinzips.

Bewusst oder unbewusst, gewollt oder notgedrungen, hier werden Varianzen des Denkmalschutzes deutlich, die im besten Sinn qualitätsschöpfend wirken. Dem Ort ist so seine Geschichte geblieben, die er laufend weiter erzählt.

5 ⁄ 2013
Robert Rechenauer


Bildmaterial
Bundesimmobiliengesellschaft BIG
Andrew Phelps
Robert Rechenauer

Literaturhinweise
Dopsch Heinz ∕ Hoffmann Robert, Salzburg – Die ganze Geschichte der Stadt,
Verlag Anton Pustet Salzburg 2008
Kapfinger Otto ∕ Höllbacher Roman ∕ Mayr Norbert, Baukunst in Salzburg seit 1980,
Müry Salzmann Verlag Salzburg 2010
Knorr-Anders Esther, Salzburg – Ein Reisebegleiter, Prestel-Verlag München 1991
Paul Jochen in: Baumeister Nicolette (Hg.), Universität Mozarteum, Büro Wilhelm Verlag Amberg 2008
Rainer Werner ∕ Walterskirchen Gerhard, Historisches Salzburg – Stadt der Musik,
Stadt des Theaters, Zaltbommel 1999