Ein Geisterschiff im Hafen der Altstadt von Salzburg
Das Mozarteum 1978 – Ein Erlebnisbericht
Bestandsanalyse Teil 1
Das Bild des Geisterschiffs gibt am besten den äußeren und inneren Zustand des Mozarteums um das Jahr 2002 wieder, jenem Zeitpunkt, als die Bundesimmobilien-gesellschaft BIG den Wettbewerb für den Umbau und die Generalsanierung ausgelobt hatte. Dieses verlassene Schiff trieb jedoch nicht mannschaftslos auf dem offenen Meer, sondern war als Bauwerk fest im Hafen der Altstadt von Salzburg verankert. An den äußerlich unversehrten Rumpf schlugen im gleichbleibenden Rhythmus die Wellen des alltäglichen Lebens. Sie konnten dem Körper nichts anhaben und wurden von ihm ungerührt zurückgeworfen. Aufgrund der schweren Beplankung waren sie im Inneren nicht einmal vernehmbar. Kein Schwanken war zu spüren, kein Plätschern zu hören. Nur Stille und Leere. Es war auch nicht zu erkennen, wann der letzte Mann von Bord gegangen war. Die wenigen Spuren gaben keinen Sinn. Stieg man vom Hauptdeck in eines der vielen Zwischendecks nach oben oder nach unten, verlor man schnell jede Orientierung.
Sieben Decks, sieben Stockwerke. Annähernd die Hälfte der Baumasse lag unter der Erde. Dunkle, verwinkelte Gänge, kein Tageslicht. Selbst die Stiegenhäuser waren ohne Bezug nach draußen. Dabei grenzte der zauberhafte Mirabellgarten, der Mirabellplatz und die traditionsreiche Dreifaltigkeitsgasse unmittelbar an das Gebäude.
Kein Ton, sondern anhaltende Stille.
Ursprünglich erlebte ich das Haus nicht mehr als Musikschule, in der gespielt, gelehrt und gelernt wurde, sondern als verlassenes und aufgegebenes Gebäude. Ein Giftskandal hatte zu seiner Räumung geführt. Doch nicht Kontamination und Seuche prägten mein erstes Bild, sondern bauliche Dichte und Dunkelheit, also jene besonderen Eigenheiten, welche tatsächlich die Gründe für die abrupte Schließung waren. Unser Konzept sollte jetzt „Licht und Luft“ ins Gebäude bringen.¹ Die wahren Ausmaße der bevorstehenden Aufgabe wurden mir jedoch erst nach dem gewonnenen Wettbewerb klar.
Nach dem Wettbewerb hatte ich unzählige Male das leere Haus besucht. Meist war ich alleine, stundenlang strich ich durch die leeren, dunklen Gänge. Teppichböden dämpften jeden Schritt. Überall schien das gleiche fahle Neonlicht. Niveausprünge und auffallend niedrige Raumhöhen irritierten mich. Flure endeten vor verschlossenen Türen oder führten komplett in die Irre. Ohne die Bestandspläne der BIG wäre ich in dem verwinkelten Gebäude nicht zurecht gekommen.
Ich öffnete die Türen und betrat immer wieder einen der verlassenen Unterrichtsräume. Die Räume waren allesamt leer. Schwere Vorhänge an den Wänden waren die einzig verbliebenen Einrichtungsstücke. Ich trat an die Außenwand und blickte durch eines der schmale Kastenfenster. Wie durch einen Guckkasten sah ich dann die abwechslungs- reichsten Motive, Bauten und Bilder, die sich mit Namen verbanden, die in mir die unterschiedlichsten Erinnerungen, Gedanken und Assoziationen weckten.
Da waren die lang gestreckten Terrassen des Mirabellgarten, der Platz mit dem Schloss und der Kirche, die Dreifaltigkeitsgasse mit dem alten Priesterseminar und dem frühen Ovalbau des Fischer von Erlach - all dies Schauplätze unzähliger Legenden und Geschichten. Oder das alteingesessene Hotel Bristol, der Bühnenturm des Landestheaters oder die Gebäude der Internationalen Stiftung Mozarteum. Hinter all den Bauten die beeindruckenden Abbrüche des Mönchsberg oder die weißen Wände der Festung.
Doch die Bilder hatten keine Relevanz für das Leben im Gebäude. Der visuelle Reichtum des Ortes und die ihn umgebende Stadt blieben ausgeschlossen. Im Haus waren die Botschaften des inspirierenden Umfeldes nicht zu vernehmen. Die Architektur verwehrte den Bezug nach draußen. Ebenso blieb dem äußeren Betrachter das Leben im Gebäude verborgen.
Die Erinnerungen an das alte Haus sind inzwischen Geschichte. Mit dem Umbau und der Generalsanierung hat die gesamte Gebäudestruktur eine grundlegende Neuordnung erfahren, die das alte Mozarteum in etwas gänzlich Neues verwandelt hat. Zwei Generationen haben bereits in dem „neuen“ Haus studiert. Heute haben nur noch wenige Besucher eine Vorstellung vom „alten“ Gebäude. Zur besseren Veranschaulichung will ich deshalb den Interessierten den Bestand von 1978 - 2004 kurz präsentieren.
Ausgangslage Wettbewerb 2002
Das Haus am Mirabellplatz hat seine ganz eigene Geschichte. Man muss sie kennen, wenn man den heutigen Bau verstehen will. Viel zu eng und viel zu dicht war das anspruchsvolle Programm in zu geringer Kubatur untergebracht. Bei den Raumanforderungen für das Neue Mozarteum hatte sich deshalb die Universität und die Bundesimmobiliengesellschaft BIG ganz bewußt auf die Musikausbildung konzentriert und andere Bereiche wie die Schauspiel- und Kunstausbildung andernorts untergebracht. Der Bauherr hatte damit die Grundlage für den neuen architektonischen Auftritt geschaffen.
12 ⁄ 2011
Robert Rechenauer
Bildnachweis
Andrew Phelps
Robert Rechenauer Architekten
Hinweise
¹ Bundesimmobiliengesellschaft BIG, Auslobung Wettbewerb