Die geschlossene Büchse der Pandora
Das Mozarteum im Kalten Krieg
So wie sich die Nachkriegsgeneration keine wirkliche Vorstellung vom Sein in den Städten während des Zweiten Weltkriegs machen konnte, so kann sich die heutige Generation kaum mehr eine Vorstellung davon machen, was für Ängste während des Kalten Krieges in Europa herrschten. Bilder, Erzählungen und Filme dokumentieren in nie da gewesenen Formen die Geschichte des 20. Jahrhunderts, eine echte Erinnerung lässt jedoch nur das selbst Erlebte zu.
Kriegsängste beeinflussten das kollektive Denken ganzer Generationen. Die Angst vor Krieg und Untergang schlug sich dabei nicht nur in der Entwicklung neuer Waffen, sondern auch in der Architektur von Schutzbauwerken nieder. So fand die ständig lauernde Gefahr vor einem Atomkrieg auch in der jüngsten Baugeschichte des Mozarteums seinen unvermeidlichen Niederschlag. Die Gebäudeplanung für die Universität Mozarteum, die in den 1970er Jahren von dem Architekten Eugen Wörle erbracht wurde, fiel in die Hochphase des Kalten Krieges. Es ist deshalb kein Wunder, dass sich im inneren der Anlage, zwei Geschosse unter der heutigen Eingangshalle, der hohle Torso eines ABC-Bunkers findet.
Bei einer Verschärfung des Konflikts hätte man den Hohlraum zu einem „vollwertigen“ Atombunker ausgebaut. Selbst wenn im atomaren Ernstfall die Anlage dem Feuersturm, der Druckwelle und dem radioaktiven Fallout, Stand gehalten hätte, würde heute niemand mehr zu den Unglücklichen gehören wollen, die solch einen Angriff überlebten. Die Fläche des potentiellen Bunkers, der bis zum Ende des Kalten Krieges als eiserne Reserve der Krise vorbehalten war, wurde 2006, beim Umbau des Mozarteums, nicht wieder belegt. Dies nicht, weil man darin Potential für die späte Verteidigung sah, sondern, weil die genehmigte Raumbestellung eine Belegung der freien Fläche nicht zuließ.
Das einzige, was heute auf die ursprüngliche Bedeutung dieser einst von jeder Nutzung ausgesparten Kellerfläche hinweist, sind die schweren Betontüren, die immer noch die Zugänge in den ehemaligen Bunker markieren. Sie konnten vor der Entkernung bewahrt werden, obwohl der Denkmalschutz den Wert dieser wichtigen Erinnerungsmerkmale noch nicht entdeckt hatte. Sie zeugen vom politischen und technischen Irrsinn jener Zeit.
Von einer der Türen gelangt man in einen unteririschen Fluchttunnel, der in den Nahe gelegenen Mirabellgarten führt. Man erreicht eine kleine Treppe, die an einem senkrechten Schacht mit einer eisernen Leiter endet. Doch den vermeintlichen Ausstieg ins Freie verwehrt eine bleierne Platte, die sich nicht bewegen läßt. Mehr als gruselig ist die Vorstellung des Bildes, das sich einem geboten hätte, wenn man nach dem überstandenen atomaren Angriff diese Luke in den Mirabellgarten geöffnet hätte!
Im Mirabellgarten findet man auf dem unteren Parterre, in unmittelbarer Nähe zum Eingang in den Gartenhof, die andere Seite der Platte. Dort scheint es, als würde die Platte eine geheime Gruft schließen, über die nunmehr die steinerne Figur der Diana wacht. Dahinter verbergen sich die Gräuel des Kalten Krieges. Diana ist für mich Padora, die Platte der Verschluss der Büchse allen Übels. Möge sie niemals geöffnet werden!
7 ⁄ 2014
Robert Rechenauer
Bildnachweis
Andrew Phelps
Robert Rechenauer