Info
R

Robert Rechenauer Architekten

Hans-Sachs-Straße 6  80469 München  Telefon 089 236856‑0
info@rechenauer-architekten.de

Die geschlossene Büchse der Pandora
Das Mozarteum im Kalten Krieg

So wie sich die Nachkriegsgeneration keine wirk­liche Vor­stel­lung vom Sein in den Städ­ten wäh­rend des Zwei­ten Welt­­kriegs machen konnte, so kann sich die heutige Ge­ne­ra­tion kaum mehr eine Vor­stel­lung davon ma­chen, was für Ängste während des Kal­ten Krie­ges in Eu­ro­pa herrsch­­ten. Bilder, Er­zäh­lun­gen und Filme do­ku­men­tie­ren in nie da­ge­we­se­nen For­men die Geschichte des 20.Jahr­hun­derts, eine echte Erinnerung lässt je­doch nur das selbst Erlebte zu.

Kriegsängste beeinflussten das kollektive Den­ken ganzer Ge­ne­ra­tio­nen. Die Angst vor Krieg und Un­ter­gang schlug sich da­bei nicht nur in der Entwicklung neuer Waffen, son­dern auch in der Architektur von Schutz­bau­wer­ken nieder. So fand die ständig lauernde Ge­fahr vor einem Atom­krieg auch in der jüngsten Baugeschichte des Mozar­te­ums sei­nen unvermeidlichen Nie­der­schlag. Die Ge­bäu­de­pla­nung für die Uni­ver­si­tät Mozarteum, die in den 1970er Jahren von dem Archi­tek­ten Eu­gen Wörle er­­bracht wurde, fiel in die Hoch­­phase des Kalten Krieges. Es ist des­halb kein Wun­der, dass sich im in­ne­ren der An­lage, zwei Geschosse unter der heu­ti­gen Ein­gangs­halle, der hohle Torso eines ABC-Bun­kers findet.

Bunker im Untergeschoss mit Fluchttunnel in Mirabellgarten
Bunker im Untergeschoss mit Fluchttunnel in Mirabellgarten

Bei einer Verschärfung des Konflikts hätte man den Hohl­raum zu einem „voll­werti­gen“ Atom­­bun­­ker aus­ge­baut. Selbst wenn im ato­ma­ren Ernst­fall die Anlage dem Feu­er­sturm, der Druck­welle und dem radioaktiven Fallout, Stand ge­hal­ten hätte, wür­de heute niemand mehr zu den Un­glück­li­chen ge­­ren wollen, die solch einen An­griff über­leb­ten. Die Fläche des po­ten­tiel­len Bun­kers, der bis zum Ende des Kal­ten Krie­ges als ei­­ser­­ne Re­­ser­­ve der Krise vorbehalten war, wurde 2006, beim Umbau des Mozarteums, nicht wie­der be­legt. Dies nicht, weil man da­rin Potential für die spä­te Ver­teidi­gung sah, son­dern, weil die ge­nehmig­te Raum­be­stel­lung eine Be­le­gung der freien Fläche nicht zuließ.

Das einzige, was heute auf die ur­sprüng­li­che Be­­deu­­tung dieser einst von jeder Nutzung aus­ge­spar­ten Kel­ler­fläche hin­weist, sind die schwe­­ren Be­ton­­ren, die immer noch die Zu­gän­ge in den ehe­ma­li­gen Bun­ker mar­kie­ren. Sie konn­­ten vor der Ent­ker­nung be­wahrt wer­den, ob­wohl der Denk­­mal­­schutz den Wert dieser wich­ti­gen Er­in­nerungs­­merk­male noch nicht ent­deckt hatte. Sie zeug­en vom poli­ti­schen und tech­ni­schen Irr­sinn jener Zeit.

Betontüre in ehemaligen ABC-Bunker
Betontüre in ehemaligen ABC-Bunker

Von einer der Türen gelangt man in einen un­ter­ir­di­schen Flucht­tun­nel, der in den Nahe ge­le­ge­nen Mira­bell­gar­ten führt. Man er­reicht eine klei­ne Trep­pe, die an einem senk­­rech­­ten Schacht mit einer eisernen Leiter endet. Doch den ver­meint­lichen Aus­stieg ins Freie ver­wehrt eine blei­er­ne Platte, die sich nicht be­we­gen läßt. Mehr als gru­se­lig ist die Vor­stel­lung des Bil­des, das sich einem ge­bo­ten hätte, wenn man nach dem über­stan­den­en ato­ma­ren An­griff diese Luke in den Mira­bell­gar­ten ge­öffnet hätte!

Im Mirabellgarten findet man auf dem unteren Parterre, in un­mit­tel­ba­rer Nähe zum Ein­gang in den Gar­ten­hof, die an­de­re Seite der Platte. Dort scheint es, als würde die Platte eine ge­hei­me Gruft schließen, über die nun­mehr die stei­ner­ne Figur der Diana wacht. Da­­­hin­­ter ver­ber­gen sich die Gräu­el des Kal­ten Krie­ges. Diana ist für mich Padora, die Platte der Verschluss der Büchse al­len Übels. Möge sie niemals geöffnet werden!

Ausstieg in Mirabellgarten
Ausstieg in Mirabellgarten

7 ⁄ 2014
Robert Rechenauer


Bildnachweis
Andrew Phelps
Robert Rechenauer