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Robert Rechenauer Architekten

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Gibt es eine Architektur, die krank macht?
Sick-Building-Syndrom in Salzburg

Am Anfang der Planung für das Neue Mozarteum stand ein „Gift­skandal“. Und so ei­gen­ar­tig das klin­gen mag, der ei­gent­liche Grund für diesen Skandal wa­ren nicht gif­tige Bau­stoffe, son­dern die Archi­­tek­­tur. Wenn es nicht schlech­te Archi­tek­tur war, was am An­fang stand, dann doch das, was vie­le Künst­­ler und Mu­si­ker als schlech­te Archi­tek­tur er­lebt hat­ten. Ver­meint­lich­es Gift war der will­­kom­men­e An­lass, dem Al­ten Mozarteum den er­sehn­ten Knock­out zu ver­set­zen. Nach der Häu­fung von my­ster­­sen To­des­fäl­len war der Druck am Ende so hoch an­ge­stie­gen, dass die Salz­bur­ger Lan­des­re­gie­rung das Ge­bäud­e wegen er­höh­ter Ge­fahr für die Ge­sund­heit räu­men ließ.

Mozarteum vom Mirabellgarten 1979
Mozarteum vom Mirabellgarten 1979

Die traurigen Leu­­mie­fäl­le konn­ten bis ins letz­te nie auf­ge­klärt wer­den. Gift­stof­fe wur­den als Ur­sache für die Er­kran­kun­gen auf je­den Fall keine aus­ge­macht. Doch die Gut­ach­ter at­tes­tier­ten den lei­den­den Künst­­lern das Sick-­Buil­ding-Syn­drom. Eine Krank­heit, die bis­lang vor­nehm­lich aus den USA be­kannt war. Be­eng­te Räu­me, we­nig Ta­ges­licht und zu trock­en­en Raum­­luft wa­ren schließ­lich die an­er­kann­ten Grün­de für die an­hal­ten­den Kopf­schmer­zen, die Ab­ge­schla­gen­heit und Schleim­­haut­rei­zun­gen.

Gibt es einen Fach­arzt für Er­kran­kun­gen wie dem Sick-­Buil­ding-Syn­drom? Einer neu­en Krank­heit, die nach­weis­lich durch den län­ge­ren Auf­­ent­­halt in be­stimm­ten Archi­tek­tu­ren her­vor­ge­ru­fen wird? Kann man sol­che Syn­dro­me me­di­zi­nisch be­han­deln? Gut mög­lich. Doch Maß­nah­men wie die Ver­ab­reichung von Schmerz lin­dern­den oder die Kon­­zen­tra­tion stei­gern­den Me­di­ka­men­ten, ru­fen an an­de­rer Stel­le oft Ne­ben­wir­kun­gen und neue Be­ein­träch­ti­gun­gen hervor.

Hier im Journal will ich keine De­bat­te über gute oder schlech­te Archi­tek­tur füh­ren. Es sol­len auch nicht die Krank­heits­fäl­le neu auf­ge­rollt wer­den, die einst dem Ge­­bäu­de­be­stand von 1979 zu­ge­schrie­ben wur­den. Als Archi­tekt des neu­en, vor­nehm­lich letz­ten Mozarteums will ich viel­mehr einer ak­tu­el­len Fra­ge­stel­­lung nach­­ge­hen, wel­che die Archi­tek­tur­dis­kus­sion in vie­len Städ­ten aus­zeich­net.

Wie ist es möglich, dass ein Haus, das alle Pha­sen der Pla­nung und Bür­ger­be­tei­li­gung durch­lau­fen hat, bei sei­nen Nut­zern so sehr in Miss­kredit ge­ra­ten kann, dass es nicht nur nicht ge­liebt, son­­dern re­gel­recht ge­hasst wird?

Jede Stadt hat ihr Mozarteum. Der Zorn einer gan­zen Ge­ne­ra­tion hatte sich an seiner Archi­tek­tur ent­zün­det. Es war kein Pa­ra­dig­men­wech­sel in der mu­si­ka­li­schen Aus­bil­dung oder un­se­rer Ge­sell­schaft, der die ra­di­ka­le Ver­än­de­rung des Ge­bäu­de­be­stan­des ve­rlang­te. Es war noch die er­ste Nut­zer­ge­ne­ra­tion, welche die Schließ­ung und Räu­mung des al­ten Mozarteums ein­geforderte.

10 ⁄ 2011
Robert Rechenauer


Bildmaterial
Bundesimmobiliengesellschaft BIG